Astrid Segui-Ott
Macht steht für die Möglichkeit oder Fähigkeit, dass jemand etwas bewirken bzw. beeinflussen oder, aufgrund seiner Position Führung und Kontrolle übernehmen und über andere bestimmen kann. Je länger über Macht nachgedacht wurde, desto mehr veränderte sich – im Laufe der Zeit – das Verständnis.
Das etymologische Wörterbuch weist beim Begriff «Macht» darauf hin, dass jemand, der Macht hat, Führung und Einfluss nimmt. Macht ist geprägt vom Vorhandensein verschiedener Ressourcen. Sie steht für strategisches Verhalten und Handeln. Macht ist weder gut noch böse, und Macht ist überall und kein Privileg.
Im Wörterbuch der Individualpsychologie beschreiben die Autoren, dass « (…) der Wille zur Macht eng verknüpft ist mit dem Kampf ums Dasein (…). » (R. Brunner, M. Tietze 1995:309;). Macht hinterlässt vorerst einmal ein diffuses Gefühl. Vielleicht denken wir dabei an Menschen in Politik, Wirtschaft oder Kirche, die ihre Macht nutzen, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren und andere klein zu halten. Und schliesslich denken wir an uns selbst, weil auch jede und jeder von uns Gefahr läuft, Macht zu missbrauchen. Ein falsch verstandenes Machtbedürfnis entsteht aus mangelndem Selbstwert (Unsicherheit, Sorge, Angst und Zwang) und wird als Ohnmacht empfunden, und so wird Schwäche schliesslich mit Herrschsucht – kompensiert.
Ein Fragment aus der Theorie Michel Foucaults zur Macht: « (…) die Macht ist nicht eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt.» (Foucault 1983:94).
In einer Welt, die einem schnellen Wandel unterworfen und in der das Vertrauen in Politik, Wirtschaft und Kirche verloren gegangen ist, entstehen in einer Gesellschaft besondere Erkennungszeichen. Dazu gehören Unwissenheit, das Gefühl von Abhängigkeit und Gleichgültigkeit. Menschen klammern sich an Wunschdenken und die Gier, ständig etwas haben zu wollen.
Mit der Corona-Pandemie hat sich eine Stimmung von Verleumdung, Verwirrung und Ablehnung breitgemacht. Macht ist überall, und da auch wir selbst nicht davor gefeit sind, Macht zu beanspruchen, sind wir gefordert, aufmerksam zu sein, zu hören, zu sehen, nachzudenken und mit gesundem Menschenverstand für Mensch, Tier und Natur einzustehen, um sie auf nachhaltige Art und Weise, zu schützen.
In allen Menschen schlummert die Sehnsucht, etwas selbst gestalten zu können, Einfluss zu haben auf das, was geschieht, im eigenen Leben und in der Welt. Etwas aus eigener Kraft schaffen zu können. Macht heisst auch, das eigene Leben in Freiheit und selbstbestimmt leben zu können. Wer Macht im Sinne einer guten Sache und selbstsicher, ohne Überheblichkeit ausübt und versteht, wird darum bemüht sein, das Lebendige im Menschen und in seinem Umfeld wahrzunehmen. Der Blick konzentriert sich auf Fähigkeiten und Eigenschaften, um Vielfalt und Kreativität zu fördern.
«In allen Menschen schlummert die Sehnsucht, etwas selbst gestalten zu können, Einfluss zu haben auf das, was geschieht, im eigenen Leben und in der Welt.»
Es gilt also, die Balance zu finden zwischen Geltungsbedürfnis und Machtstreben, das aus einem Minderwertigkeitsgefühl hervorgeht, und souveränem Auftreten, das geübt und erlernt werden kann. Souveränes Auftreten bedeutet in sich ruhende Selbstsicherheit und ist gekennzeichnet durch Besonnenheit, Bescheidenheit, Meinungsstärke, Intuition, Interesse, Verantwortung, Lösungs- und Realitätssinn, um hier ein paar Aspekte aufzuzählen. Im Gegensatz zum Machtstreben, das sich an Gefühlen der eigenen Unzulänglichkeit (Insuffizienz) oder Unterlegenheit (Inferiorität), das heisst, am Eigeninteresse orientiert, kommt es dem souveränen Menschen auf das Miteinander und damit auf das Interesse der Gemeinschaft, auf das Gemeinwohl an.
Ein souveränes Verhalten und Handeln ist dann möglich, wenn wir authentisch, emotional kompetent, zur Selbstreflexion fähig sind, tragende Beziehungen gestalten und pflegen können. Damit wir uns vor ungutem Machtstreben schützen und uns vom Geltungsbedürfnis befreien können, benötigen wir einen Rahmen, der uns Entwicklung ermöglicht. Um ein würdevolles Leben führen zu können, eines ohne Erhöhung des Persönlichkeitsgefühls und ausgeprägtem Bedürfnis nach Geltung und Machtstreben, eines, das nicht von Illusionen bestimmt wird, benötigen wir Zeit, einen geeigneten Raum und Stille, die unsere Aufmerksamkeit lenkt und Veränderungen im Erleben ermöglicht.
David Zeindler
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