1.10.2024

Eltern-Kind-Beziehung – Gefahren überhöhter Sicherheit für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes

David Zeindler

Eltern-Kind-Beziehung – Gefahren überhöhter Sicherheit für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes Ein persönlicher Erfahrungsbericht zur Umsetzung der IP-Erziehung im Alltag von David Zeindler, in Ausbildung zum individualpsychologischen Berater, AFI

Ein persönlicher Erfahrungsbericht zur Umsetzung der IP-Erziehung im Alltag von David Zeindler, in Ausbildung zum individualpsychologischen Berater, AFI

Nur zu gut kann ich als Vater zweier Töchter verstehen, wenn Eltern ihr Kind vor allen Gefahren beschützen möchten und damit nur das Beste für ihr Kind wollen. Und genau an dieser Stelle frage ich mich, ob das Rundherum-Schützen die Weiterentwicklung des Kindes hindert, hemmt oder einfach verlangsamen kann?

 

Unbestritten ist ein wohlgesinnter Gedanked er Eltern dem Kind gegenüber. Das Kind beobachtet und lernt aus seinem Umfeld. Jeden Tag. Es ist von Grund auf neugierig und interessiert, neues zu lernen. Es lernt zuerst von seinen Eltern und den Geschwistern. So nimmt es vieles wahr aus seiner Umgebung. Wenn es lernt, muss es auch Schlussfolgerungen machen. Sein Lebensstil wird dadurch Tag für Tag um weitere Aspekte des Lebens reicher. Im Rahmen seines Lebensstils kann das Kind selbst denken und erste Schritte für sein Leben unternehmen. Die Eltern haben einen grossen Einfluss auf die Entwicklung ihres Kindes. Unbewusst wie auch bewusst. Das Kind wird eine gewisse Grundhaltung für sein Leben übernehmen. Nur – welche Grundhaltung wird es sein?

Ich stell die Frage:

Was passiert, wenn wir unser Kind vor allen Gefahren schützen wollen?

Nimmt es die Unsicherheit der Eltern wahr? Wird es sich womöglich Sorgen machen? Es erfährt möglicherweise, dass sein Umfeld unsicher und voller Gefahren ist.

Weshalb tun wir das als Eltern? Tun wir dies aus Liebe? Oder ist es möglicherweise aufgrund unserer Angst, dass dem Kind etwas zustossen könnte? Womöglich wollen wir, dass unser Kind nicht die gleiche Erfahrung macht, wie wir sie machen mussten?

Wie wird wohl das Kind geprägt sein, wenn es seinem Umfeld in seiner Kindheit nicht vertrauen kann. Ist dies die beste Voraussetzung für sein späteres Leben als erwachsene Person?

Die ersten 6 – 7 Jahre sind die prägendsten Jahre des Kindes, bei dem sich sein Lebensstil entfaltet bzw. (nach Adler) seine Lebenslinie entsteht.

Meine Beobachtungen zeigen auf; wenn das Kind bereit ist und somit selbst die Erfahrung machen möchte, können wir als Eltern dem Kind die Chance und somit die Voraussetzung schaffen, im Vertrauen, dass es die Möglichkeit bekommt. Dies ist wohl für die Eltern die weit grössere Herausforderung – loszulassen und zu vertrauen, statt zu schützen und zu behüten. Vertrauen lohnt sich! Weshalb? Weil das Kind dadurch mehr an Selbstvertrauen gewinnen kann. Diese Erfahrung ist für sein Leben wesentlich! Mit Mut im Leben unterwegs zu sein. Wir können dem Kind zu einem besseren Selbstvertrauen verhelfen, indem wir Vertrauen schenken. Wenn wir als Eltern diese Unterstützung dem Kind in seinen situativen Belangen geben können, wird dem Kind folgendes signalisiert: «Ich bin für dich da!», «Ich vertraue dir!”» «Du schafft es!», «Du bist bereit!”» Somit geben Eltern dem Kind die Möglichkeit in seinen kindlichen und jungen Jahren wichtige Erfahrungen, wertvolle Lebensbausteine zu sammeln.

 

Was sind Lebensbausteine?

Ein Lebensbaustein ist ein erlebtes, positives oder negatives Erlebnis, das den Lebensstil des Kindes oder eines jungen oder erwachsenen Menschen prägt und somit für sein Leben zu einer wertvollen, nutzbaren, positiven Erkenntnis/Erfahrung dient. Lebensbausteine dienen dem Zweck, der Gemeinschaft im Leben beizutragen, damit es später seine Lebensaufgabe wie Arbeit, Liebe und Gemeinschaft erfüllen kann. Ein Lebensbaustein führt somit zu einem positiven und wertvollen Lebensstilaspekt, da die Schlussfolgerung des Erlebnisses positiv ausgefallen ist und wirkt somit positiv auf das Selbstvertrauen für das spätere Leben.

 

Meiner Meinung nach ist dies die allerbeste Sicherheit, solche Lebensbausteine zu sammeln, bei dem die Eltern das Kind unterstützen können. Mit Ermutigung durch Fortschritt und Bemühungen der Eltern erfährt das Kind eine zusätzliche, positive und konstruktive Unterstützung, bei dem das Kind den notwendigen Mut aufbringt, seine Ziele zu erreichen. Durch wiederholtes Versuchen lernt das Kind durchzuhalten. Die Eltern üben sich in dieser Hinsicht oft in Geduld. Das Kind soll idealerweise aus eigener Kraft seine Ziele erreichen können. Sobald es das Ziel erreicht, dürfen sich die Eltern freuen und ihm den Erfolg durch ehrliche Anerkennung zeigen. Ja, es darf Anerkennung erleben! Eine wichtige Erfahrung für das Kind. Es zeigt dem Kind, dass es auf dem richtigen Weg ist. Auf diese Weise macht es weitere Schlussfolgerungen wie z.B. «Ich bin auf dem richtigen Weg!». Sein gestärktes Selbstvertrauen nimmt es in seiner nächsten Herausforderung mit. Je mehr das Kind solche Erfahrung macht, umso selbstsicherer wird es im späteren Leben sein.

 

Was passiert, wenn das Kind einen überhöhten Schutz erfährt?

Dem Kind kann der Eindruck entstehen, dass sein Umfeld voller Gefahren ist. Es wird unsicher, weil es zu oft zur Vorsicht gemahnt wird. Wenn es etwas nicht darf, aus Angst der Eltern, wird dem Kind die Möglichkeit entzogen, weitere Lebenserfahrung zu sammeln. Somit werden wichtige Lebensbausteine fürs Leben verhindert, die für eine gewisse, gesunde Resilienz als Mensch notwendig sind. Das Kind kommt dadurch womöglich zur einer dieser Schlussfolgerung: Ich muss immer vorsichtig sein!», «Ich muss aufpassen!», «Ich kann meinem Umfeld nicht vertrauen.». Es wird einen vorsichtigen oder sogar ängstlichen Lebensstil entwickeln, was für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung benachteiligend wirkt. Die Neugier des Kindes, Neues im Leben für sich zu entdecken, wird dadurch gebremst und somit traut es sich nicht mehr so schnell Neues auszuprobieren.

 

Wenn wir dem Kind z.B. sagen, «Tu das nicht!»«Das darfst du nicht!», wird es für das Kind interessant. Meistens wird das Kind erst recht versuchen, es zu tun.

Das Kind wird meist das machen, was wir nicht wollen. Es macht das, was es gerne erleben will und damit lenken wir das Kind, mit den Restriktionen, die Aufmerksamkeit und das Interesse auf ein neues, falsches Ziel.

Je restriktiver wir als Eltern wirken, desto mehr neigt das Kind dazu, sich auf einen irrtümlichen Lebensweg zu begeben. Es erfährt viel weniger essenzielle Lebensbausteine, die für das Leben notwendig sind, sondern ungünstige, irrtümliche Wege, welche auf falsche Schlussforderungen aufgebaut sind, die das Kind in die Irre führen kann.

 

Wenn wir dem Kind den Weg in einer Richtung verbauen, wird es einen neuen finden, sein Ziel zu erreichen.

Alfred Adler, Wozu leben wir? S. 58

 

Genau aus diesem Grund ist an dieser Stelle zu achten, wozu das Kind dieses Verhalten aufzeigt? Es zu Fragen, aus welchem motivierten Grund will es das machen. Meistens hat es ein sehr gutes Motiv, sich so zu verhalten, wie es sich verhält.

  

Und somit hier meine Empfehlung:

Das Kind nach dem Bewegungsgrund fragen, wie z.B. Wozu willst du das tun?

Wenn es sich tatsächlich auf einem irrtümlichen Weg befindet, müssen wir uns Fragen:

Sind wir mit dem Kind nicht wertschätzend umgegangen? Ist ein Minderwertigkeitsgefühl entstanden? Ist aus Sicht des Kindes eine ungerechte Situation entstanden, welche wir als Eltern nicht erkannt haben?

Achten wir darauf, dass das Kind, seinem Umfeld vertrauen und gesund aufwachsen kann. Es will von Grund auf, mit seiner Neugier, viel vom Leben lernen. Setzen wir als Eltern auf die Lebensbausteine, die zu positiven Lebensstilaspekte führen, so kann das Kind für sein Leben wichtige Erkenntnisse im Leben erfahren und damit wird auch sein Selbstvertrauen gestärkt. Es entwickelt Mut und Willenskraft, sodass es die Herausforderungen, die Lebensaufgaben im Alltag annehmen und meistern kann.

 

Das Kind wie auch Erwachsene brauchen Ermutigung wie die Blumen das Wasser, um gut wachsen zu können.

Rudolf Dreikurs

(Eine Anpassung des Zitats von Dreikurs wurde von mir vorgenommen)

 

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