Katharina Bühlmann
2016 erstellte ich mit einer Arbeitskollegin im Auftrag des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK),Kanton Bern, einen 120-Stundenumfassenden Deutsch-Pilotkurs.Er soll die Kursteilnehmenden vomSprachniveau A2 auf das Zertifikat B1 heben. Dieses Zertifikat istVoraussetzung für den Lehrgang«Pflegehelfende SRK».
Wir starten mit vierzehn Schüler*innen aus sieben verschiedenen Ländern: Tibet, Eritrea,Äthiopien, Venezuela, Sambia, SriLanka und Iran. Die grösste Gruppe kommt aus Eritrea. In meinerzehnjährigen Erfahrung als Ausbilderin habe ich immer wieder mit Menschenmit Migrationshintergrund gearbeitet. Aber dieses Mal ist vieles anders. Zu Beginn fehlt die Hälfte der Klasse. Erst eine Stunde später sind alle da– eine bunte Gruppe. Wie sich dieses Jahr wohlgestalten wird?
Ich will Vertrauen aufbauen. Ich ermutige durchLächeln, freundliche Stimme, freundlichen Blick- und auch mit langsamer, deutlicher Sprache. Ichbin allerdings unsicher, ob meine gut gemeinte Artauch entsprechend wahrgenommen wird. Werdenwir eine Beziehung zueinander finden? Wird dieGruppe gut zusammenarbeiten? Werden die Männer uns Frauen akzeptieren? Können unsere Schüler*innen Pflegehelfende werden?
Im Laufe der Zeit machen meine Kollegin und ichmancherlei Beobachtungen: Aufgaben zusammen zu besprechen, sind sie sich nicht gewohnt.Rasch werden uns die Lösungen entgegengestreckt; Für sie weiss nur die Lehrerin, was richtig ist. Aus Respekt vor den Lehrpersonen, können uns unsere Studierenden nicht duzen. Füruns fühlt sich das fremd an. Sie fragen auch nicht,wenn sie eine Aufgabe nicht begreifen. Sie sitzenminutenlang vor dem Aufgabenblatt und schauen es an. Es hilft auch nicht, zu fragen, ob jemandeine Frage hat. Es bleibt still, und die Arbeitsblätter bleiben leer. Wie wir damit umzugehen haben,müssen wir ausprobieren. Mit der Zeit ergebensich Möglichkeiten.
Als wir eine neue Lern-App einführen wollen, merken wir, dass die meisten Mailadressen nicht unseren Studierenden gehören, sondern auf die derfür sie zuständigen Sozialarbeiterin lauten. Über Umwege und Beziehungen können wir zu gebrauchten Laptops kommen, und unsere Schützlinge nun zu einer eigenen Email-Adresse.
«Ein Klima der Gleichwertigkeit schaffen und halten, und damit Gemeinschaftsgefühlerlebbar machen.»
Mit jeder Woche wird die Atmosphäre vertrauter.Die meist jungen Menschen kommen gerne in dieSchule. Sie wachsen zusammen, unterstützen undermutigen einander – und sie fangen an, uns zu duzen. Wir können beobachten, dass sie wie eine Blume aufblühen, wenn wir zusammen lachen, wennich eine Person vor der ganzen Klasse ermutige,oder wenn ich anerkenne, dass ich ihre Aussprache viel besser verstehe als noch vor drei Monaten. Dann klatscht oft die ganze Klasse, was michsehr beeindruckt. Denn dass sie sich am Erfolg desanderen freuen können, sehe ich als grosse Stärke bei vielen meiner unterdessen über hundert Kursteilnehmenden. Ich ermutige, oft auch durchHumor. Ich kann ein Klima der Gleichwertigkeitschaffen und halten, und damit Gemeinschaftsgefühl erlebbar machen.
Von diesem Pilotkurs haben zwölf von vierzehnTeilnehmenden den Abschluss geschafft. Kürzlich habe ich eine Teilnehmerin getroffen, die mirsagte, dass von diesem ersten Durchgang elf derzwölf eine feste Anstellung gefunden haben.
Ich kann nur staunen, wie Menschen, die Schlimmes erlebt haben und hier und da wohl näher amTod als am Leben waren, für mich zum Vorbild geworden sind. Ein Vorbild in Nächstenliebe, Gastfreundschaft und gegenseitiger Unterstützung.Das ist gelebtes Gemeinschaftsgefühl. Am Endedes Kurses essen wir jeweils gemeinsam, und aufvielen der Fotos, die dort gemacht werden unddann in weite Länder geschickt werden, bin wohlauch ich zu sehen.
Katharina Bühlmann ist diplomierte, individualpsychologische Beraterin AFI, Beraterin SGfB, Zertifiziert in der Bernhardt Methode mit Schwerpunkt Kurzzeitberatung, erfahren als Pflegefachfrau und Rettungssanitäterin, sowie in der Ausbildungvon Pflegenden, Flüchtlingen und im Jobcoaching.
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